Kaum eine Frage beantworte ich zur Zeit (so wie jeden Herbst) so oft wie:
"Ich möchte gerne XY aus Walk nähen, darf ich das füttern? Ich hab gehört dann gehen all die guten Eigenschaften verloren!"
Man liest immer wieder allerhand merkwürdige Sachen zu dem Thema, deshalb widme ich ihm heute mal einen Blogpost.
Was ist Walk?
Walk ist ein verfilztes Gewebe aus Wolle. Sprich aus gesponnenem Wollgarn wird zuerst ein Stoff gewebt (manchmal auch gestrickt), der anschließend durch Einwirkung von Chemikalien (Lauge), Wärme und Feuchtigkeit kontrolliert verfilzt wird. Beim sogenannten "walken" laufen die Wollfasern ein und der Stoff verdichtet sich und wird dichter und fester, je länger gewalkt wird, umso stärker verfilzt der Stoff.
Ist Walk immer aus Wolle?
Hier muss man aufpassen, denn das was in Stoffläden als Walk verkauft wird ist nicht zwingend 100% Wolle, am häufigsten werden Polyester, Polyacryl oder Polyamid beigemischt. Diese Mischungen verbessern die Eigenschaften (zum Beispiel die Scheuerfestigkeit) und mindern den Preis. Solange die Mischung hauptsächlich aus Wolle besteht (mehr als 50%) bleiben auch die guten Eigenschaften der Wolle erhalten.
Man erhält im Handel auch Wollmischungen mit Seide, Baumwolle oder feinen Tierhaaren wie Alpaka oder Mohair, aber diese sind wesentlich teurer.
Ob man nun einen reinen Wollstoff kaufen möchte, oder eine Mischung hängt von den eigenen Vorlieben ab (manche Menschen kaufen verständlicherweise nichts mit Kunstfaser, oder vertragen Kunstfasern sogar nicht) und natürlich auch vom Budget. Es macht bei einem Wintermantel für den man 3m Stoff benötigt halt schon einen großen Unterschied ob man einen Stoff für 60€/m oder für 18€/m kauft.
Aber auch wenn ihr eine Wollmischung kauft, macht ihr damit nicht unbedingt was falsch.
Was sind die besonderen Eigenschaften von Wolle und woher kommen sie?
Wolle ist die Faser vom Schafsfell, ich glaube, dass ist uns soweit allen klar. Verschiedene Rassen geben verschiedene Wollarten, vielleicht sagt euch ja die weiche Merinowolle, die man eher vom Stricken her kennt, was, sie stammt vom Merinoschaf.
Die Wolle, die wir zur Stoffgewinnung benötigen stammt heutzutage hauptsächlich aus Australien, Neuseeland, GUS (Nachfolgestaaten der Sowjetunion), Argentinien, Südafrika, USA und Großbritannien.
Ein bis zweimal pro Jahr werden die Schafe geschoren, anschließend werden die abgeschorenen Wollvliese nach Qualität sortiert und gereinigt bevor sie weiter zu Garn gesponnen und anschließend verwebt oder verstrickt werden.
Wollfasern bestehen aus Eiweißmolekülketten, die man Kreatin nennt (kennt ihr von unseren Haaren). Ganz viele dieser Molekülketten bilden sogenannte Fibrillen, welche wiederrum Fibrillenbündel bilden. Außen an der Oberfläche der Wollfaser befinden sich Schuppen, die beim Walken dafür sorgen, dass die Fasern miteinander verfilzen.
Der Aufbau der Wollfaser verleiht ihr besondere Eigenschaften:
- Wolle nimmt Wasserdampf auf, zum Beispiel beim Schwitzen (sie ist hygroskopisch). Sie kann bis zu einem Drittel ihres Gewichts an Wasserdampf aufnehmen ohne sich selbst feucht anzufühlen.
- Obwohl sie Wasserdampf aufnehmen kann, stößt sie flüssiges Wasser ab, sie ist hydrophob. Wassertropfen perlen an Wollstoffen erstmal ab, man muss schon etwas länger durch den Regen laufen, bevor der Mantel durchweicht.
- eine spezielle Eigenschaft von Wollwalk: Durch die Verdichtung der Fasern entstehen ganz viele winzige Hohlräume im Stoff, welche die abgegebene Körperwärme speichern und kalte Luft von außen abhalten. (Das ganze geht übrigens auch in die andere Richtung, früher wurden Eisklötze in Wolldecken eingeschlagen damit sie beim Transport nicht schmelzen)
Wolle hat noch viele andere -mal positive, mal negative- Eigenschaften, aber wenn es um das Füttern von Walkkleidung geht, werden meistens die oben genannten Eigenschaften gemeint.
Aber darf ich jetzt füttern oder nicht?
Jaja, jetzt hab ich viel erklärt, dabei wollte ihr eigentlich nur wissen ob und wenn ja wie ihr füttern dürft.
Bei dieser Frage kann man 5 Experten fragen und bekommt 6 Meinungen.
Meine: Ja, bitte füttert, wenn ihr das gerne möchtet.
Ich muss immer etwas schmunzeln wenn ich lese, dass ein Futter alle positiven Eigenschaften des Walks zerstören würde. Als würde das Futter den Walk vergiften und zu Polyester machen ;)
Richtig ist: An den Eigenschaften des Walks verändert sich nichts. Die einzigen Eigenschaften die wir vielleicht nicht mehr so wahrnehmen, ist die erste und die dritte: Das Wolle Wasserdampf in Form von Schweiß aufnimmt ist je nach Futter weniger möglich und die Luftkammern im Walk werden vielleicht nicht so schnell mit Körperwärme gefüllt, wenn eine Schicht dazwischen die Körperwärme schon zurückhält.
Und da kommt der Knackpunkt: Welche Schichten liegen eigentlich zwischen der nackten Haut und dem Walkmantel oder bei Babys und Kindern dem Walkanzug, denn diesen Punkt vergessen wir oft: Wir sind (sofern wir nicht als Exhibitionisten im Park Omis erschrecken) nicht nackt unter unserem Mantel oder im Anzug. Ein Baby zum Beispiel trägt im Winter mindestens eine Windel, einen Body, eine Strumpfhose, ein Shirt und eine Pumphose unter dem Walkanzug. Also überall schon mal mindestens 2 weitere Stofflagen zwischen der nackten Haut und dem Walk. In den meisten Fällen handelt es sich bei Babys um Baumwollstoffe, manche schwören ja auch auf Wolle-Seide-Kleidung, aber da würde ich mal sagen das es eher eine Minderheit betrifft, die die komplette Babygarderobe aus Wolle-Seide hat.
Also schon mal 2 Lagen Baumwolle die den "Feuchtigkeitsaustausch" des Walks "stört", denn Baumwolle nimmt selbst relativ gut Wasserdampf auf ohne sich feucht anzufühlen.
Merkt ihr worauf ich hinaus will? Ob ihr jetzt den Anzug auch noch mit einer Lage Baumwollstoff füttert oder nicht, ändert auch nicht mehr viel.
Das Gleiche gilt bei Erwachsenen: Wenn man eine Polyesterbluse unter dem ungefütterten warmen Walkmantel trägt, wird man trotzdem nach einem Ausflug auf den Weihnachtsmarkt nach Schweiß riechen.
Wenn man also wirklich 100%-ig die Materialeigenschaften behalten möchte, dürfte man sich unter dem Mantel/Anzug auch nur in reine Wolle kleiden, aber ich schätze das machen die wenigsten. Falls du doch dazu gehörst: dann bitte fütter den Mantel nicht ;)
Was ist denn als Futter geeignet?
Bei der Wahl des Futters würde ich darauf achten eine Naturfaser zu nehmen, wie zum Beispiel Baumwolle, weil da die Eigenschaften am ähnlichsten sind. Wer eine Kunstfaser nehmen möchte der sollte Viskose nehmen, da sie auch aus natürlichen Polymeren besteht und ähnliche Eigenschaften wie Baumwolle hat, aber glatter auf der Haut ist (leichteres Anziehen).
Nachtrag: Was ist denn dann mit dem Waschen?
Noch ein kleiner Nachtrag zum Thema Reinigung von gefütterten Walkstoffen, weil das Thema nach Veröffentlichung des Posts öfters in den Kommentaren bei Facebook und Instagram angesprochen wurde und ich beim Verfassen des Posts auch nicht dran dachte das Thema aufzugreifen:
Das man Wolle anders waschen muss als Baumwolle ist selbstverständlich. Die Frage ist aber immer: wie schmutzig wird ein Futter eigentlich? Bei Damenbekleidung gibt es natürlich immer das Schweißproblem. Wie ausgeprägt das in einem Mantel tatsächlich ist, ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Bei mir selbst zum Beispiel riecht der Wintermantel aus Polyesterplüsch und Canvas selbst nach einem ganzen Winter ohne waschen nicht nach Schweiß.
Falls es doch mal riecht, hilft ein Essigbad, das geht auch mit Wollstoffen oder man gibt den Wollmantel vielleicht am besten direkt in die Reinigung, die werden damit fertig.
Bei Kinderkleidung hat man weniger das Schweißproblem sondern eher Matsch und Schlamm... Von außen. Da hat Walk aber die tolle Eigenschaft, dass man den Schmutz nur trocknen lassen muss und dann kann man ihn relativ gut ausbürsten, wobei es auch hier zum Beispiel auf die Stofffarbe ankommt.
Von innen werden Overalls und Jacken eher nicht schmutzig, wobei ich auch Kommentare hatte wo davon berichtet wurde, dass die Kinderjacken auch von innen immer dreckig werden. Da kommt es aber sehr auf das Kind an und wie viel und gerne es sich durch den Dreck rollt ;). Ich persönlich hatte das Problem bei meiner Tochter nie, aber vielleicht wird mich das Baby ja noch vom Gegenteil überzeugen ;). Wenn dann also das Baumwollfutter innen dreckig ist, kann es schwer werden die Jacke in der Maschine sauber zu bekommen, weil Baumwolle etwas mehr Temperatur braucht als Wolle. Ein absolut berechtigtes Argument also das gegen das Füttern spricht, WENN man ein Kind hat, dass die Jacke auch von Innen schmutzig bekommt.
Bei richtig starken Verschmutzungen wie einer ausgelaufenen Windel ist es letztendlich egal ob der Overall gefüttert war oder nicht, den wieder sauber zu bekommen wird so oder so schwer.
Was natürlich blöd ist, wenn man Bündchen an Arm- und Beinsäumen nicht mehr sauber bekommt. Hier würde ich persönlich vermutlich mit Flecklöser nur an die Bündchen gehen, aber klar, das bedeutet mehr Aufwand.
Also sollte man hinsichtlich der Reinigung bedenken: Wie sehr schwitzt man selbst in Winterbekleidung und wie könnte man die Jacke eventuell schützen?(Zum Beispiel durch austauschbare Schweißblätter unter der Achsel)
Wie Schmutzig wird der Anzug/die Jacke des Kindes von Innen? Tobt es viel und gerne im Dreck herum oder eher nicht? Würde ich ein dunkles oder helles Futter nehmen, bei dem selbst kleine Flecken natürlich mehr auffallen? Das selbe gilt bei Bündchen: Versteckte Bündchen fallen auch schmutzig nicht so auf wie normal angenähte und dunkle Bündchenfarben lassen Flecken auch nicht so schnell auffallen.
Hat füttern vielleicht auch Vorteile?
Ja, auf jeden Fall:
Je nach Walkqualität kann der Stoff extrem kratzig sein und wenn man eine empfindliche Haut hat, ist das wirklich unangenehm. Mit einem Futter verhindert man, dass der Walk zum Beispiel im Nacken
und Halsbereich direkt an der Haut aufliegt, so kann er nicht mehr kratzen.
Ein weiterer Vorteil ist vor allem bei Damenmänteln zu bedenken: Wollstoffe haben leider die negative Eigenschaft, dass sie nicht besonders formstabil sind, sprich sie leiern schnell aus und können Beulen machen, zum Beispiel im Ellenbogenbereich, ein Futter, welches nicht so sehr nachgibt kann das Ausleiern etwas hinauszögern.
Beim Recherchieren für diesen Post bin ich immer wieder über ein wichtiges Thema gestolpert: Wie Öko ist eigentlich Wolle?
Ich glaube Wolle ist für die meisten Menschen der Inbegriff von Natur, wir denken an glückliche Lämmchen die über blühende Wiesen springen und ein tolles Leben führen (wie auf dem Bild), aber wie viel von dieser Natürlichkeit bleibt übrig wenn es um ein Konsumprodukt wie Wolle geht? Gerade Wolle für Bekleidung, wo die Schafe ganz am Anfang der Textilen Kette stehen und bei jeder Stufe ein anderer dran verdienen will (beginnend beim Hirten, zum Scherer, zum Spinnen, zum Weben, zum Ausrüsten, zur Kleidungsherstellung, in den Laden).
Erstmal zum positiven: Wolle lässt sich ohne großen Energieaufwand "gewinnen", Schafherden grasen in den Erzeugerländern meistens auf Flächen die für Ackerbau zum Beispiel nicht geeignet sind, somit stehen sie nicht in Konkurrenz zur Lebensmittelherstellung. Gleichzeitig helfen Schafe diese Gebiete zu pflegen, was anders aufwendig mit Maschinen geschehen müsste.
Wenn man Wolle wegwirft, baut sie sich innerhalb kürzester Zeit biologisch ab und viele Produktionsabfälle bei der Wollverarbeitung werden auch zum Düngen in der Landwirtschaft verwendet.
Aber wie immer gibts auch hier eine Schattenseite. Meistens werden die Schafe in sehr großen Herden auf relativ geringen Flächen gehalten, was dazu führt, dass sich Parasiten und andere Krankheiten schnell in einer Herde verbreiten. Um dem Vorzubeugen werden die Schafe mehrmals jährlich in einem Pestizidbad gegen Parasitenbefall behandelt. Diese Pestizide lagern sich im Wollfett (Lanolin) an. Zwar werden sie nach dem Scheren beim Waschen mit dem Lanolin rausgewaschen, wodurch man in Wolle und Wollkleidung kaum mehr Pestizide nachweisen kann, aber dass Abwasser ist durch die Pestizide extrem stark belastet und auch in Lanolinhaltiger Kosmetik können Pestizidrückstände zu finden sein.
Darüber hinaus ist das Scheren leider nicht immer so romantisch wie es in Heimatfilmen dargestellt wird. Vor allem in Australien und Neuseeland wurde lange (und wird teilweise wohl immer noch) das sogenannte Mulesing durchgeführt. Dabei wird die Haut rund um den Schwanz des Schafes ohne Betäubung entfernt und einen Befall mit Fliegenmaden zu verhindern. Googelt lieber nicht danach, wenn ihr einen schwachen Magen habt.
Abschließend kann man sagen: Wolle KÖNNTE das Naturprodukt schlechthin sein, wenn die Tiere artgerecht gehalten würden und alternative Verfahren zur Schädlingsbekämpfung angewandt werden würden. Wer auf Nummer Sicher gehen will, sollte auf Bioqualität achten.
Gibts zum Beispiel hier
Quellen:
Technologie für Bekleidungsberufe, Bildungsverlag EINS, 13. Auflage
Fachwissen Bekleidung, Europa Lehrmittel, 9. Auflage
Textil-Fibel 4, Greenpeace Magazin Stand Feb 2011